RFID - Die intelligenten Schnüffelchips | ||
Elektronische High-Tech-Etiketten: Big Brother oder große Freiheit? RFID-Chips erobern den Alltag immer mehr. Die Radiowellen-Chips sind zwar für einige Einsatzbereiche praktisch, treiben aber in mancher Hinsicht den Überwachungsstaat voran. RFID-Chips senden ein Signal aus und müssen nicht über einen Scanner gezogen werden. Ein Bericht von Tobias Weidemann |
Der Supermarkt von morgen: Alles unter Kontrolle. Die Handelskette Metro (www.metrogroup.de) arbeitet beispielsweise am Einkaufsmarkt der Zukunft. Zur Metro-Gruppe gehören unter anderem die Real-Märkte, aber auch Praktiker und Kaufhof, Media Markt und Saturn. Ein Real-Markt in Tönisvorst bei Krefeld wird gerade mit der nötigen Technik ausgestattet (www.future-store.org). Alle Waren sind mit kleinen Chips versehen -RFID-Funkchips, deren Informationen über ein zentrales System koordiniert werden (zur Funktionsweise siehe Kasten auf Seite 100). Der Kunde wird so ohne größere Umwege zur gewünschten Ware geleitet. Die Verkäufer wissen, wie viele Pakete einer bestimmten Ware noch im Regal stehen. Wenn ein Artikel zur Neige geht, wird automatisch jemand mit Nachschub zum Regal geschickt. Selbst Waren, die nicht an ihrem Platz sind, lassen sich mit Hilfe des Systems wieder auffinden.
Das Kassieren: Seinen größten Vorteil kann das System an der Kasse ausspielen. Hier muss der Kunde nicht mehr sämtliche Waren aufs Förderband legen, und der Kassierer tippt nicht mehr die Preise ein oder zieht das Barcode-Etikett über einen Scanner. Es reicht, den gesamten Wagen durch eine Schleuse zu schieben, die Rechnung zu kontrollieren und zu zahlen. Selbst Waren, die nicht mit RFID-Chips versehen sind, etwa Obst und Gemüse, werden mit Hilfe einer Kamera korrekt erkannt.
Schon heute: RFIDs beschleunigen Ausleihe in Bibliotheken. Während die automatische Kasse im Supermarkt zumindest noch nicht Alltag ist, kommen RFID-Chips in anderen Bereichen schon selbstverständlich zum Einsatz - beispielsweise in großen Bibliotheken. So läuft seit Anfang 2006 in der Stadtbibliothek München die Ausleihe über ein RFID-System. Bis zu 40 Zentimeter hohe Bücherstapel verarbeitet es auf einen Schlag in Sekundenbruchteilen. "Das System hat unsere Ausleihprozesse deutlich schneller gemacht, und es wird auch von weniger Technik-affinen Nutzern gut angenommen", berichtet Marianne Pohl, Projektleiterin für die Selbstverbuchung.
Diebstahlsschutz: Auf dem Bildschirm erscheinen bis zu 20 Titel, die zeitgleich verbucht werden. Gleichzeitig wird der RFID-Chip temporär deaktiviert und erst bei der Rückgabe wieder aktiv geschaltet. Denn das System dient zugleich als Diebstahlschutz. Knapp einen halben Meter weit senden die RFID-Chips ihre Signale -weit genug, dass die elektronische Schleuse am Ausgang Alarm schlägt, wenn ein Buch nicht ordnungsgemäß entliehen wurde.
Zwei Chiparten: Es handelt sich in diesem Fall um ein Hochfrequenzsystem, das mit 13,86 MHz arbeitet. Die hier eingesetzten Chips kosten rund 25 Cent pro Stück und sind damit deutlich teurer als Niedrigfrequenzmodelle. Letztere kommen überall dort zum Einsatz, wo es vorrangig auf den Preis ankommt. Die Reichweite der Hochfrequenzchips ist höher, und es kommt seltener zu Fehlfunktionen.
Kritik: Der Kunde gibt sehr viele Daten von sich preis. Mag das schnelle und einfache Ausleihen von Büchern oder der bequemere Einkauf Vorteile bringen - der Preis, den die Nutzer für diese Annehmlichkeiten zahlen, könnte hoch sein. Zumindest wenn sich die Technik weiterentwickelt und wenn Unternehmen die Möglichkeiten der Technologie clever ausnutzen.
Marketinginstrument: Das Kundenverhalten kontrollieren und analysieren - dafür eignet sich die RFID-Technik tatsächlich hervorragend. Welchen Weg nimmt ein Kunde, was kauft er, welche Waren schaut er sich an oder nimmt er in die Hand? Was passiert, wenn man dem Kunden, der Wein und Sekt kauft, auch noch andere Delikatessen auf dem Display präsentiert? Und statt den Kunden auf dem direkten Weg zu den gewünschten Waren zu dirigieren: Könnte man ihn nicht ein wenig im Laden herumfahren lassen - in der Hoffnung, dass er mehr entdeckt und kauft als geplant?
"All das steht nicht zur Debatte", wiegelt Metro-Sprecher Albrecht von Truchsess ab. "Wir setzen die Technik nur dort ein, wo der Kunde sie auch haben will. Es geht uns bislang vor allem darum, die Warenwirtschaft zu vereinfachen."
Warenwirtschaft: Schon heute kommen RFID-Chips in der Warenwirtschaft zum Einsatz - vornehmlich an großen Paletten, in naher Zukunft auch in einzelnen Kartons. Bis die Chips auf jedem einzelnen Produkt zu finden sind, ist es noch ein weiter Weg. Hier spielt auch der Preis eine Rolle - selbst einfache passive Chips kosten noch rund 10 Cent. Immerhin: Vor zwei Jahren kosteten vergleichbare Chips noch das Dreifache. Dabei hängen die Preise sehr stark von der Stückzahl ab - und die dürfte gerade bei einem großen Handelskonzern hoch sein. Einen Quantensprung könnte die Entwicklung von RFIDs aus Polymermaterialien bringen. Die Etiketten gleich in die Verpackung einzuarbeiten wäre sinnvoll in Sachen Umweltschutz - und außerdem billiger.
Big Brother: Konsumterror und Manipulation. Weniger entspannt sieht
der Netzaktivist padeluun das Gefahren Potenzial von RFID. "Anders als bei
anderen Datensammeltechniken wie Preisausschreiben, Bezahlen mit Karte, Punktesammeln
oder Nutzung von Kundenkarten hat der Bürger bei RFID-Chips keine Kontrolle darüber,
welche Daten abgefragt werden. Das passiert automatisch per Funk, er bekommt es
nicht einmal mit." Deswegen hat der Verein zur Förderung des Öffentlichen
bewegten und unbewegten Datenverkehrs (www.foebud.de)
bereits 2003 der RFID-Technik und der dazugehörigen Lobby den Big-Brother-Award im Bereich Verbraucherschutz
verliehen. Diesen Negativpreis erhalten Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen,
die nach Ansicht der Jury besonders nachhaltig gegen Datenschutz und informationelle
Selbstbestimmung verstoßen. "RFIDs definieren das Wort Konsumterror völlig neu - spätestens wenn
sich ein internationaler Standard durchgesetzt hat."
So
begründet die Netzaktivistin Rena Tangens im Schwarzbuch Datenschutz (erschienen
im Nautilus-Verlag) die Verleihung des Awards. "Durch ausspionierte, gesammelte
Kundenprofile wird eine neue Dimension von Werbemaßnahmen und gezielten Manipulationen
möglich, die einem selbstbestimmten Leben entgegenstehen."
Um über die RFID-Technik und die damit verbundenen Gefahren zu informieren, hat der Foebud daher eine Website eingerichtet (www.foebud.de/rfid) und macht mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen von sich reden. So ließen die Netzaktivisten zur CeBIT 2006 in der gut besuchten Halle 6 ein an heliumgefüllten Ballons befestigtes "Stop RFID"-Zeichen steigen - dort, wo viele große Aussteller ihre Funkchips präsentierten.
Sendeschluss: Chip lässt sich deaktivieren. Das Hauptproblem bei den
Chips: Sie sind nahezu unbegrenzt haltbar und funktionieren auch nach Jahren,
wenn sie nicht korrekt abgeschaltet werden. Das geschieht im Fall des Future-Stores
an der Kasse mit Hilfe eines speziellen Deaktivators, ähnlich wie auch andere
Diebstahlsicherungen entfernt werden. Während bei älteren Generationen der Chip
nur temporär über die Veränderung eines Einzelwertes deaktiviert wurde, gibt es
heute bereits dauerhaft deaktivierbare Chips.
Mit
Mikrowellen zerstören: Wer sich darauf nicht verlassen will, könnte den Chip
auch durch Bestrahlung mit Mikrowellen nachhaltig zerstören, etwa indem man ihn
in den Mikrowellenherd steckt und diesen für wenige Sekunden ein- und wieder ausschaltet.
Nützlich nach dem Kauf: Andererseits ist es fraglich, ob die Anwender in
einigen Jahren überhaupt noch daran interessiert sind, den integrierten Chip unschädlich
zu machen. Denn er kann möglicherweise auch nach dem Kauf noch hilfreich sein,
etwa wenn in Haushalten Geräte wie intelligente Kühlschränke oder Waschmaschinen
stehen (siehe Kasten Seite 101). Sie würden ihre Infos genau aus diesen Daten
gewinnen: etwa welche Farbe ein Kleidungsstück hat, wie heiß es gewaschen werden
darf, was sich für Lebensmittel in einer Packung befinden oder wie lange diese
haltbar sind.
Alle Infos: Während die Metro-Gruppe die Kundschaft eher zu beruhigen versucht, sprechen die IT-Unternehmen, die RFID-Lösungen für den Einzelhandel produzieren, sehr viel direkter aus, was die neue Technik kann. Etwa die Firma Texas Instruments: "Die Technik kann dem Händler jederzeit sagen, welche Kunden in seinem Laden sind, und zu jedem Kunden sämtliche Käufe auflisten." So schwärmt das Unternehmen auf der eigenen Website (www.pcwelt.de/166). Ob der Kunde damit einverstanden ist oder zumindest ein solches Verhalten toleriert, ist zu bezweifeln.
RFID: Das alles können die Chips
Die Möglichkeiten der RFID-Technologie sind vielfältig. Hier
einige Anwendungsbeispiele, die uns in ein paar Jahren das Leben erleichtern könnten,
aber such mit einer Einschränkung der Privatsphäre verbunden wären.
RFID -
Witz |
Waschmaschinen und Kühlschränke: Mehrere Firmen arbeiten
an Haushaltsgeräten, die mit RFID kommunizieren. Eine Waschmaschine erkennt etwa
anhand eines RFID-Chips in der Kleidung, ob das gewählte Waschprogramm und die
gewählte Temperatur passen und ob alle Kleidungsstücke die gleiche Farbe haben.
Diebstahlsicherung: Ober eine netzwerkbasierte RFID-Lösung werden DVDs
erst an der Kasse freigeschaltet. Bei einer gestohlenen DVD bleibt der heimische
Bildschirm dagegen dunkel. Auch elektronische Geräte und Computer ließen sich
so schützen, dass ihr Besitzer sie bei Verlust oder Diebstahl sperren kann.
Fluggepäck: Die Flughäfen in Frankfurt und Tokio testen RFID bei der Gepäckbehandlung.
Die Gepäckanhänger enthalten Transponder, die Lesegeräte in der Förderanlage wissen
jederzeit, wo sich ein Gepäckstück befindet.
Museen und Ausstellungen: Das Naturkundliche
Museum im dänischen Aarhus hat seine Exponate mit RFID-Transpondern versehen.
Besucher können auf ihrem PDA Zusatzinformationen über die Exponate abrufen.
Die Betreiber sehen umgekehrt, welche Exponate besonders beliebt sind und wie
intensiv welche Teile der Ausstellung genutzt werden.
Eintrittskarten: Für Eintrittskarten zu Großveranstaltungen lassen sich
RFID-Tickets einsetzen, etwa bei Konzerten oder großen Sportveranstaltungen.
So lässt sich auch sicherstellen, dass jeder nur in den für ihn vorgesehenen Block
kann - Überfüllung ausgeschlossen.
Freizeitparks: Familien, die das Legoland in Dänemark besuchen, erhalten
ein RFID-Armband für jedes Kind. So lässt sich der Nachwuchs schnell und einfach
wieder finden.
Zugangskontrolle
und Ausweise:
RFID-Transponder dienen schon heute als Ausweise in Firmen und können hier sämtliche
Wege und Pausen des Mitarbeiters dokumentieren.
Auch deutsche Reisepässe enthalten seit einem Jahr einen
RFID-Chip.
RFID-Chips: Diese Technik steckt dahinter
Das Auslesen funktioniert anders als bei herkömmlichen Barcodes ohne Berührung,
Lichtstrahl oder Piepsen - der Betroffene bekommt nichts mit. Und mit Hilfe eines
RFID-Chips lassen sich viel mehr Daten speichern.
Sogar unsichtbar: Grundsätzlich besteht ein Transponder aus einem Prozessor,
einer Antenne und gegebenenfalls einer Energiequelle. Dennoch sind RFID-Chips
nicht immer als solche zu erkennen. Sie lassen sich beispielsweise auch - von
außen unsichtbar - in Kreditkarten einbauen oder als nur wenige Milligramm schwere
Sender zu Forschungszwecken an Insekten befestigen.
Passive Chips: Bei den Transpondern lassen sich aktive von passiven unterscheiden.
Die passiven, die nur wenige Cent kosten, enthalten keine eigene Stromquelle und
werden durch das elektromagnetische Feld des Lesegeräts gespeist (Induktionsladung).
Hier strahlt das Lesegerät ein Signal aus, das der Transponder verändert zurücksendet.
Abhängig von den zu übertragenden Daten findet eine unterschiedliche Modulation
statt. Die Reichweite beträgt nur einige Zentimeter, maximal einen halben Meter.
Aktive Chips: Diese Modelle besitzen eine eigene kleine Energiequelle.
Sie werden jeweils durch ein Lesegerät aktiviert, das sich in der Nähe befindet.
Die Chips strahlen dann selbständig ein elektromagnetisches Feld bestimmter Wellenlänge
und Frequenz aus. Sie verfügen über eine deutlich größere Reichweite: Diese kann
mehrere hundert Meter betragen.
Die gute und die böse Seite.
Mini RFID Chip |
Man ist hin- und hergerissen: Sind RFID-Chips der Untergang des informationell Selbstbestimmten Abendlandes, oder ist das alles bloß Panikmache einiger unentspannter Netzaktivisten?
Fakt ist, dass sich mit den Schnüffelchips sehr viel mehr über das Verhalten von Kunden herausfinden lässt als bisher. Das mag praktisch sein, dient aber in jedem Fall auch der Gewinnmaximierung der Unternehmen. Und das Schlimme daran: Ein durchschnittlich technisch gebildeter Kunde bekommt es oft gar nicht mit, dass er überwacht wurde. Noch habe ich als Kunde die Wahl, wo ich einkaufe. Bei Events wie der Fußball-WM hat jedoch wohl niemand aus Datenschutzgründen auf seine mit einem Schnüffelchip versehene Karte verzichtet. Die Frage ist, ob man die Annehmlichkeiten der Technik auch ohne die Gefahr der Aufgabe seiner Privatsphäre bekommt. Ein ungutes Gefühl bleibt.
RFID Implantate im menschlichen Körper