Karlsruhe berät über den «gläsernen Autofahrer»
http://www.mz-web.de/artikel?id=1204183908155

Kennzeichen werden mit Fahndungsdatenbank abgeglichen -
von Wolfgang Janisch, 09.03.08, 19:36h

Ein Polizeibeamter steht in Frankfurt neben dem Scanner des «Automatischen Kennzeichenlesesystems» (AKLS). (Foto: dpa) Karlsruhe/dpa.

Kennzeichenlesesystem AKLS im Einsatz

Maschinenhilfe für die Polizei: Das Kennzeichenlesesystem AKLS im Einsatz

Auf den ersten Blick sieht die Sache harmlos aus: Die Polizei stellt eine Kamera an den Straßenrand, welche die Nummern vorbeifahrender Autos einscannt und durch die Fahndungsdatenbank jagt. Die Hälfte der Bundesländer tut es bereits, und nur wenige der millionenfach kontrollierten Autofahrer haben es bemerkt - die Trefferquote liegt im Promillebereich. Und doch: Wenn das Bundesverfassungsgericht kommenden Dienstag (11.3.) über die Zulässigkeit der massenhaften Kennzeichenkontrolle urteilt, steht auch die Furcht vor einer gigantischen Überwachungsmaschinerie im Hintergrund - die Angst vor dem gläsernen Autofahrer.

Auf dem Prüfstand stehen die Gesetze Hessens und Schleswig- Holsteins, doch wird das Urteil mindestens für die halbe Republik Bedeutung haben. Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg- Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Bayern haben den Massenabgleich per Videokamera ebenfalls im Polizeigesetz erlaubt, Baden-Württemberg will nachziehen - ein entsprechender Entwurf wurde vor kurzem verabschiedet.

Glaubt man dem hessischen Innenminister Volker Bouffier (CDU), dann ist die Kamera am Straßenrand vergleichbar mit dem aufmerksamen Polizeibeamten, der sich eine Nummer aufschreibt und mit dem Fahndungscomputer abgleicht - das Auge des Gesetzes, millionenfach vervielfältigt. Das sei ein «Grundrechtseingriff an der Bagatellgrenze», insistierte er bei der Karlsruher Anhörung im November. Denn die Daten werden umgehend gelöscht, gespeichert werden nur die Treffer. In Hessen waren das bis zur Verhandlung rund 300 - überwiegend säumige Versicherungszahler.

Doch die Fragen der Richter waren derart skeptisch, dass die Gesetze kaum unbeanstandet bleiben werden. Bereits die Zuständigkeit der Länder wackelt, weil die Massenkontrolle weniger der polizeilichen Gefahrenabwehr als vielmehr der Strafverfolgung dienen dürfte. Wofür eindeutig der Bund zuständig ist.

Außerdem scheint die Lizenz zur Massenkontrolle handwerklich schlampig gearbeitet zu sein. Ein Phänomen, das die Karlsruher Richter mit wachsendem Unbehagen bei vielen Landesgesetzen beobachten: zu unpräzise, zu weit gefasst, zu wenig grundrechtssensibel - dieses Verdikt traf kürzlich ein NRW-Gesetz beim Thema Online-Durchsuchung ebenso wie 2005 die Telefonüberwachung in Niedersachsen.

Spannend wird aber vor allem, was der Erste Senat zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer flächendeckenden Überwachungstechnologie sagt, die jeden auch noch so Unverdächtigen betrifft. Denn die technischen Möglichkeiten des Kennzeichen- Scannings wecken Begehrlichkeiten, zumal die Infrastruktur dafür vorhanden ist: Die Kontrollbrücken für die Lkw-Maut filmen alle Fahrzeuge, auch wenn sie lediglich die Lastwagen herausfiltern. Bisher ist die Nutzung der Daten zur Strafverfolgung verboten - eine Hürde, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gern niederreißen würde.

Mit der Technologie ließen sich auch Bewegungsprofile herstellen - was einem Datenschutz-Gau gleichkäme, warnen Bürgerrechtler. Flächendeckend installiert und bundesweit vernetzt, könnte man damit Millionen von Fahrtrouten speichern, inklusive Datum und Dauer.

Sind das überzogene Orwell-Szenarien? Ein Blick zum Überwachungsweltmeister Großbritannien lehrt etwas anderes. Dort wurde die Technik zum Kennzeichen-Scanning entwickelt, und auf der Insel wird sie wohl intensiver eingesetzt als sonstwo auf der Welt. Und das ist erst der Anfang: Derzeit fördert die britische Regierung den Ausbau einer landesweiten Infrastruktur und den Aufbau einer zentralen nationalen Datenbank, wie in der Karlsruher Anhörung der federführende Richter Wolfgang Hoffmann-Riem berichtete.

Bewegungsbilder erstellen? Womöglich darf das die Polizei in Hessen schon jetzt. Zwar hatte Bouffier versichert, dass dies in seinem Bundesland nicht möglich sei. Doch Gerichtspräsident Hans- Jürgen Papier war sich da nicht ganz so sicher: «Ich glaube Ihnen, dass sie das nicht tut» - aber wo genau im Polizeigesetz stehe eigentlich, dass das den Beamten verboten sei?

 

Massenüberwachung von Kennzeichen vor Gericht
http://www.welt.de/politik/article1380720/Massenueberwachung_von_Kennzeichen_vor_Gericht.html

Innenminister Schäuble will es, viele Bundesländer machen es bereits – sie lassen Autokennzeichen maschinell auslesen und mit einer Fahndungsdatei abgleichen. Jetzt prüft das Bundesverfassungsgericht die Praxis. Drei Autofahrer sehen ihre Grundrechte berührt.

Kennzeichenlesesystem AKLS im Einsatz

In einer Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zur automatisierten Massenüberwachung von Autokennzeichen haben die Kläger vor einem "Dammbruch" gewarnt. Die elektronische Kontrolle von Nummernschildern vorbeifahrender Autos nach den Polizeigesetzen von Hessen und Schleswig-Holstein betreffe die ganze Bevölkerung, sagte Rechtsanwalt Udo Kauß in Karlsruhe. Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) verteidigte die Regelung. Der Datenschutz sei durch den automatisierten Abgleich der Kennzeichen mit Fahndungsdatenbanken kaum betroffen. "Ich glaube, dass das ein Grundrechtseingriff an der Bagatellgrenze ist."

Das Karlsruher Gericht prüft die Verfassungsbeschwerden von drei Autobesitzern. Sie wenden sich gegen die seit 2004 in Hessen sowie seit diesem Frühjahr in Schleswig-Holstein geltenden Regelungen, nach denen die Kennzeichen durch fest installierte oder vom Polizeiwagen aus eingesetzte Kameras erfasst und elektronisch mit zwei Fahndungsdateien des Bundeskriminalamts abgeglichen werden.

Registriert das Automatische-Kennzeichen-Lesesystem (AKLS) einen Treffer, führt die Polizei eine Kontrolle durch. Die Nummernschild-Erfassung kann durch fest installierte Geräte, aber auch mobil von Polizeifahrzeugen aus erfolgen. Nach Angaben der in Karlsruhe klagenden Autofahrer kann ein einziges Gerät pro Stunde mehrere tausend Fahrzeugkennzeichen erfassen. Bundesweit soll nach einer halben Million Fahrzeugen gefahndet werden. Ähnliche Vorschriften existieren in sechs weiteren Ländern. In Bayern werden nach Angaben von Kauß rund fünf Millionen Kennzeichen pro Monat abgeglichen.

Hessen hat den Einsatz der Kennzeichenlesegeräte bereits weit vorangetrieben. Laut Innenministerium sind neun Lesegeräte im Einsatz, die in diesem Jahr für rund 300.000 Euro angeschafft wurden. Von März bis Oktober dieses Jahres seien rund eine Million Kfz- Kennzeichen überprüft worden. Dies habe zu 300 Treffern geführt - eine Quote von 0,3 Promille. Rund zwei Drittel waren Fahrer ohne Versicherungsschutz. Gefasst wurden aber auch Tankbetrüger und gesuchte Straftäter.


Karlsruhe verhandelt über Videoerfassung

http://www.sueddeutsche.de/computer/artikel/84/143761/

Kläger warnen vor "Dammbruch"

Die automatische Erfassung von Autokennzeichen steht seit Dienstag beim Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand. Autofahrer aus Hessen und Schleswig-Holstein sehen darin eine Verletzung ihrer Grundrechte.

Kennzeichenlesesystem AKLS im Einsatz

Erfassung von Autokennzeichen:
Das Bundesverfassungsgericht prüft Klagen von Autofahrern. Foto: AP

Vor dem Bundesverfassungsgericht hat am Dienstagvormittag die mündliche Verhandlung zu der Frage begonnen, ob die Polizei Autokennzeichen massenhaft per Videokamera aufnehmen und elektronisch mit Fahndungsdateien abgleichen darf. Mit der Datenerfassung will die Polizei etwa gestohlenen Autos oder Kennzeichen schneller auf die Spur kommen.

Anlass der Verhandlung sind Klagen gegen entsprechende Regelungen in den Polizeigesetzen Hessens und Schleswig-Holsteins. Sie wenden sich gegen die seit 2004 in Hessen sowie seit diesem Frühjahr in Schleswig-Holstein geltenden Regelungen.

Die Kläger sehen darin eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sie machen geltend, dass mit einem einzigen Gerät mehrere tausend Kennzeichen in der Stunde erfasst und so Unverdächtige massenhaft beobachtet werden.

Kläger warnen vor "Dammbruch"

In der Anhörung des Bundesverfassungsgerichts haben die Kläger vor einem "Dammbruch" gewarnt. Die elektronische Kontrolle von Nummernschildern vorbeifahrender Autos nach den Polizeigesetzen von Hessen und Schleswig-Holstein betreffe die ganze Bevölkerung, sagte Rechtsanwalt Udo Kauß.

Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) verteidigte die Regelung. Der Datenschutz sei durch den automatisierten Abgleich der Kennzeichen mit Fahndungsdatenbanken kaum betroffen. "Ich glaube, dass das ein Grundrechtseingriff an der Bagatellgrenze ist."

Ähnliche Vorschriften existieren in Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. In Bayern werden nach Angaben von Kauß rund fünf Millionen Kennzeichen pro Monat abgeglichen.

Hessen hat den Einsatz der Kennzeichenlesegeräte bereits weit vorangetrieben. Laut Innenministerium sind neun Lesegeräte im Einsatz, die in diesem Jahr für etwa 300.000 Euro angeschafft wurden. Von März bis Oktober dieses Jahres seien rund eine Million Kfz-Kennzeichen überprüft worden. Dies habe zu 300 Treffern geführt - eine Quote von 0,3 Promille. Rund zwei Drittel waren Fahrer ohne Versicherungsschutz. Gefasst wurden aber auch Tankbetrüger und
gesuchte Straftäter.

Sachsen ändert Polizeigesetz

Künftig sollen Autokennzeichen auch in Sachsen automatisch erfasst werden. In der Nähe der tschechischen und polnischen Grenze würden mobile und stationäre Lesegeräte aufgestellt, teilte das Innenministerium am Dienstag in Dresden mit.